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Michael Zeller
Der Schüler Struwe
Eine Geschichte

Heftbroschur mit Schutzumschlag
März 2009, Fadenheftung,
36 S., Euro 5,50
Die besonderen Hefte
ISBN: 978-3-935421-33-1

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Niederdrückende Tage. Ein Jugendgefährte lebt seine letzten Stunden und mir blieb nichts als zu warten, warten auf das eine Wort: daß er gegangen sei. In dieser Frist wußte ich uns beiden, ihm wie mir, nicht anders zu helfen, als diese Geschichte zu erzählen, Erinnerungen an unserer gemeinsame Schulzeit vor mehr als vierzig Jahren.

»Geblieben aber ist mir ein anderes Bild von Arthur Struwe. Diese Altmännergestalt in den dunklen Klamotten einer anderen Epoche, wie er mit hängenden Schultern sich über den Schulhof schleppt, fast immer allein, die Aktentasche unter den Arm geklemmt, den Blick zu Boden, zerquält das Gesicht von Sorgen und Ängsten. Und geht und geht mit schweren körperfremden Schritten auf seine Pausenrunde, als sei er der letzte Übriggebliebene einer anderen Welt.«

Leseprobe


Michael Zeller
1944 in Breslau geboren, dem heutigen Wroclaw in Polen. Nach einer akademischen Laufbahn in Marburg, Bonn, Erlangen (mit Promotion und Habilitation) entschied er sich 1982 für den Beruf des freien Schriftstellers.
Seither ist ein vielgestaltiges literarisches Werk mit einem weiten Themenkreis entstanden. Titel (Auswahl): Follens Erbe, Roman 1986; Café Europa, Roman 1994 (3. Auflage 2001); Die Reise nach Samosch, Roman 2003; Bosnisches Mosaik, 2005; Die Soester Fehde, Theaterstück, UA 2009;


Leseprobe

Der Struwe damals? Kein hübscher Junge. Er war mehr als häßlich. Komisch sah er aus, so ganz anders als wir. Alt. Aus der Welt der Väter, nach dem Krieg. Als hätte er die Kindheit übersprungen, wäre niemals jung gewesen.

Mächtige Kinnbacken. Große Ohren. Ein Mund mit aufgetriebenen Lippen. Den mochte der Struwe wohl selber nicht leiden, denn meistens hielt er seine Hand davor, im Unterricht. Mit Daumen und Zeigefinger massierte er die weit auseinandergesetzten Wangenknochen, je nervöser er war, umso heftiger. Dabei geriet auch seine Brille ins Tanzen, ein schweres dunkles Gestell, das er bestimmt von jemandem geerbt hatte. Die Gläser zum Fürchten dick. Er war so kurzsichtig, daß er nicht am Sportunterricht teilzunehmen brauchte.

Auch wie der Struwe seine Haare trug. Es sah unmöglich aus in unseren Augen. Das braune Haar, an sich schön gelockt, war straff nach hinten gekämmt und über dem Nacken gerade abgeschnitten, ohne jede Stufe. Von den Seiten lösten sich lange Strähnen und krümelten ihm immer im Gesicht rum.

»Mensch, Struwe, lassen Sie sich doch mal ‘n ordentlichen Schnitt verpassen«, forderte ihn der Mathematiklehrer auf, zum Gaudium der Klasse. Er war Leutnant im Krieg gewesen und hatte einen Teil seiner Schneidigkeit bis ins Schulzimmer von Marburg an der Lahn gerettet. Arthur Struwe lief rot an, bis zum Hals, lächelte hilflos vor sich hin, schwieg, drehte an seinen Wangenknochen. Wahrscheinlich krampfte sich die andere Hand fester um seine Tasche unterm Tisch.

Das war eine andere Marotte von ihm. Niemals trennte er sich von seiner Schultasche. Während des Unterrichts stand sie auf seinem Schoß. Er hielt sich fest daran mit seiner linken Hand, als brauche er einen Halt. Dagegen halfen unsere ständigen Frotzeleien so wenig wie das ungeduldige Wort manches Lehrers hin und wieder. Selbst wenn er nach vorn an die Tafel gerufen wurde, nahm er sie mit, und auch während der Pausen, auf dem Schulhof, ließ er nicht los davon. Ein häßliches Ding aus mürbe gewordenem Leder, so scheußlich alt wie seine Brille, wenn nicht noch älter. Mit den neugekauften Taschen, wie wir sie benutzten, hatte Struwes urtümliches Gerät jedenfalls nichts zu tun. Sommers wie winters, so schien es uns, trug er einen Kleppermantel, stumpfgrau, fußlang, wie ein Priester. Damit war er die Lachnummer der ganzen Schule. Eng gegürtet trug er ihn, daß die komische Faltung des Rückens noch auffälliger ins Auge stach. Der Mantel, aus einer Art Gummimasse, hatte einen strengen Eigengeruch (wir nannten’s damals anders), und das Zeug knirschte, wenn man es berührte, was wir am Anfang fast alle nicht lassen konnten, als der Struwe damit in unserer Klasse aufgetaucht war. Wie ein Gespenst der Vorzeit kam er uns darin vor. Keiner in der Stadt trug so etwas mehr, und wenn, dann war‘s bestimmt ein Flüchtling oder Kriegsversehrter.
Auch sonst war der Struwe himmelschreiend angezogen für unseren Geschmack. Was er anhatte – seine dicken Wollpullover, die Hosen mit breiten Beinen und noch breiterem Umschlag unten, die steifen Hemden –‚ alles dunkle Farben, grau oder braun oder gemischt. Dergleichen trugen ja selbst unsere Lehrer nicht mehr, geschweige denn wir. Alles hing wie fremd an ihm runter, ausgeliehen, mal zu eng, mal zu weit. Es paßte niemals richtig. Ein alter Mann. Nicht wie einer von uns.

Tatsächlich war der Struwe zwei Jahre älter, als er in unsere Klasse kam. Er hatte die Versetzung nicht geschafft, und das andere Jahr hatte er bei seiner Einschulung verloren, hieß es, wegen des Kriegs und der Flucht. Daß die Struwes nicht von hier stammten, das sah und hörte man gleich. Er war auch größer als die meisten von uns. Aber das merkte man gar nicht richtig, denn aufrecht ging der niemals. Immer hingen ihm die Schultern, und auch den Kopf hielt er nur gesenkt. Es kam uns damals vor, als drücke ihn das dunkle altmodische Zeug aus dicken Stoffen, das er trug, zu Boden. Eingesunken in sich, die Tasche untern Arm geklemmt, zog er seines Wegs, mit großen ungelenken steifen Schritten. So schwerfällig gingen noch nicht mal unsere Väter. Wie ein alter Mann. Daß er rennen, springen, tanzen könnte, wie ein Jugendlicher unseres Alters, schien ausgeschlossen. Wahrscheinlich war der schon als Kind mit diesem erdschweren plumpen Schritt durch die Welt gestapft.





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