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9783935421713

Otto, Hans-Werner:
Ich bin ein Portemonnaieaufheber
Erzählungen
Die Besonderen Hefte
Heftbroschur mit Schutzumschlag
vergriffen

Das Buch ist leider vergriffen!

Erzählungen von Hans Werner Otto finden Sie hier:

BoD



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Leseprobe



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Völkerkunde im eigenen Land

»Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn sofort vor mir, den großen, schwarzen Flügel, den ich so oft im Schaufenster des Piano-Geschäftes bewundert hatte. Ich sah ihn kommen, groß, schwarz, aber gar nicht bedrohlich, er rollte aus dem Schaufenster auf mich zu, der große, weiche Klang rollte mit ihm und der Schlaf nahm mich auf, groß, weich und traumlos.«

Fünf Geschichten von Hans Werner Otto, die sie entstehen lassen, diese feine Welt des Wuppertaler Schriftstellers. Der Zivildienst in Bayern wird zu einer beeindruckenden Völkerkunde exotischen Lebensstils, bei der ein velorenes Portemonnaie zu einem völkerverbindenen Gegenstand wird. Die Begegnung mit einem Molekularbiologen eröffnet ungeahnte Einblicke in religiösen Reliquienhandel. Der Wunsch nach einem Flügel wird auf bizarre Art und Weise erfüllt und eine unverhoffte Beobachtung im Bus weckt Erinnerungen an alte Zeiten ...



Leseprobe:



Ich bin ein Portemonnaieaufheber


Bernd aus Elberfeld hat überlebt. Schon lange her, die Zeit der Blitzer. Er hat sich in einem bayerischen Bierzelt nackt ausgezogen, ist vorne auf die Bühne gesprungen, hat allen mit seiner Maß zugeprostet und ist dann abgehauen, schnell wie der Blitz, schneller als blutdürstige Verfolger.

Jetzt bin ich in einem bayerischern Bierzelt. Kirchweih, und »jetzt« ist 1981. Die Zeit der Hausbesetzer. Ich bin ein Hausbesetzer. Ich bin gar kein Hausbesetzer. Ich bin Zivildienstleistender. Aber die Zivildienstleistenden sind Hausbesetzer. Alle. Wir sind nämlich in einem bayerischen Dorf. Da gibt es eine Pension für uns, eine Zisterzienserabtei für die Touristen und eine Jugendstrafvollzugsanstalt für den Bodensatz. Uns wünscht man in diesem Dorf von der Pension in die Jugendstrafvollzugsanstalt. Dass einer seine Haare bis zum Hintern wachsen lässt, einer rote Schuhe trägt, keiner von uns Dienst und verdammte Pflicht und Schuldigkeit tut, reicht.

Wir dreißig Hausbesetzer sind hier auf einem Lehrgang, vier Wochen Ökologie, wir arbeiten alle im Umweltschutz, kommen aus allen damaligen Bundesländern und hauen uns unsere unterschiedlichen Dialekte um die Ohren, reden über Schwarzstörche, Carlos Castaneda und den neuen Golf Diesel als einen Schritt in die richtige Richtung, hören Referate von Naturschutzbeauftragten verschiedener Kommunen, legen im Dorf Prüßbach einen Teich an, werfen mit Schlamm und versprechen, uns später gegenseitig daran zu erinnern, dass wir Anno einundachtzig bei Prüßbach gemeinsam in der Scheiße gelegen haben, trinken bayerisches Märzen, sehen uns nach Mädchen um, aber die lässt man nicht zu uns. Am Wochenende dürfen wir auf Staatskosten nach Hause fahren, aber manchmal wollen wir gar nicht.

Jetzt ist so ein Wochenende, Kirchweih, und wir wagen uns ins Bierzelt. Man kennt uns. Man guckt uns an. Man hört auf zu reden. Aber wir setzen uns mitten unter sie auf die schmalen Holzbänke, bestellen Maß. Wir versuchen, die Musik zu ertragen, ohne uns darüber lustig zu machen, wir sind erwachsen. Teilnehmende Beobachtung, Methode der Kulturanthropologie. Es ist nicht grässlich, es ist interessant. Besonders jetzt. Eine dumm-fröhliche Musik, und die Kapelle macht Bewegungen dazu vor, alberne Wackler, die Leute auf der Tanzfläche machen nach, machen mit, immer mehr auch von denen auf den Holzbänken. Ist nicht albern, ist interessant. Gehört zum bayerischen Urgestein, von Generationen geliebt und tradiert, Kulturgeschichte von unten manifestiert sich genau jetzt vor unseren Augen. Es sieht albern aus und hört sich furchtbar an. Trotzdem. Erst Monate später werden wir erfahren, dass es sich um den »Ententanz« handelt, wir sind auf einer der Stationen seines triumphalen Siegeszuges durch die ganze alte Bundesrepublik. Jetzt wissen wir das nicht. Jetzt ist das für uns Folklore, und darüber macht man sich nicht lustig. Wir bestellen mehr Maß. Wir wollen nicht drüberstehen, wir sind erwachsen. Wir lächeln Nachbarn an, prosten Unbekannten zu, folgenschwer. Denn irgendwann werden unsere Außenmänner untergehakt, und das heißt Schunkeln. Schunkeln für alle. Wir schunkeln und lächeln uns zu, hilflos.

Erste Wortwechsel mit der Außenwelt. Ein Mädchen redet mit uns, bis ihr Vater sie dabei erwischt. Er knurrt, und sie geht. Schade. Wir sind wieder Hausbesetzer, und dazu noch Preußen. Johannes will es nicht wahrhaben. Er sagt, ich gehe jetzt tanzen, und wir warnen ihn, bist du verrückt, lass den Scheiß, Johannes ist der mit den roten Schuhen. Wir sehen ihn ein Mädchen ansprechen, sehen sie sich abwenden, sehen Johannes’ bedauernde Geste, sehen einen Stiernacken auf ihn zu gehen, er sieht ihn noch nicht, der Mensch hat bierrote Augen, wir wollen rufen Johannes, pass auf, wie im Kasperle-Theater, aber das geht nicht mehr, der Mensch hat Johannes an der Schulter herumgewirbelt und jetzt - jetzt schlägt er, tatsächlich, er schlägt Johannes ins Gesicht, wir haben ihn gewarnt, Johannes knallt rücklings auf einen Holztisch, die Maßkrüge wackeln, er erhebt sich ganz benommen, und der Stiernacken will wieder auf ihn los. Aber jetzt sind wir schon da, und auch ein paar Dorfbewohner, sie halten den Stiernacken fest, er brüllt und spuckt, Johannes hat seine Verlobte aufgefordert. So was geht nicht. Ein Hausbesetzer mit roten Schuhen. Ein Hausbesetzer mit roten Schuhen hat seine Verlobte aufgefordert. So was geht nicht. Die, die ihn festhalten, sagen auch, so was geht nicht, und wir, die wir Johannes gerade gefragt haben, wie es ihm geht, geht schon wieder, fragen die, die den Stiernacken festhalten, warum so was nicht geht. Sie sagen, guckt euch doch mal an, und wir sagen, guckt euch doch mal an. Der Hoffmann mit seiner Wehrsportgruppe hat Recht, sie kotzen Todesstrafe und rechtsradikalen Schlamm vor unsere Ohren. Sie bellen. Sie halten den Stiernacken fest und bellen. Wir wollen auch. Aber wir gucken uns an und bellen nicht. Wenn wir bellen, müssen wir auch beißen. Wir sind Kriegsdienstverweigerer. Teilnehmende Beobachtung. Wir bellen nicht, wir knurren ein bisschen, und dann gehen wir.

Ich gehe nicht mit. Ich habe noch nicht genug Bier getrunken und kann nicht mitgehen. Ich will noch nicht in die Pension. Ich will noch teilnehmend beobachten. Das Bierzelt ist riesengroß, und ich drücke mich an den gegenüberliegenden Rand, wo die Älteren sitzen, keine Ahnung, was ich noch hier soll, gucken, rauchen, noch mehr Bier trinken. Ich sitze am Rand und schaue mich um. Vor mir aufgereihte bayerische Ärsche auf schmalen Holzbänken. Dicke bayerische Ärsche, zumeist dicker als die Holzbänke, sie hängen darüber hinweg, und aus einem fällt plötzlich ein Portemonnaie auf den Boden. Ich bin erwachsen. Ich gehe hin und spreche zu dem viereckigen Kopf, der zu dem Arsch gehört, reiche dem Mann die Geldbörse, und er reagiert nicht. Er reagiert überhaupt nicht! Er grunzt kein Danke, er bemüht keine Augenbraue nach oben, er guckt mich nur ganz kurz an. Ich verziehe mich. Eine Viertelstunde lang passiert überhaupt nichts. Ich rauche und habe kein Bier mehr. Dann steht ein Maßkrug vor mir, von dem Herrn da drüben. Der viereckige Kopf dreht sich in meine Richtung und nickt mich rüber. Und jetzt fällt der Satz: »I hob nie denkt, dass a Kriegsdienstverweigerer so anständig sein konn.« So, sage ich. Kann man auch anders sehen, sagt der Banknachbar des Viereckigen. Es geht los. Es geht um Kriegs­dienstverweigerung, natürlich. Warum? Man hat zu viele meiner Verwandten im letzten Krieg totgeschossen, sage ich. Und dann sage ich fast nichts mehr. Brauche ich auch nicht. Es reicht. Es dauert bis ungefähr zwei Uhr am Morgen. Jede der streitenden Parteien lässt mir in unregelmäßigen Abständen einen Maßkrug zukommen, die einen als heimliche Kriegsdienstverweigerer zum Zeichen öffentlicher, bierseliger Solidarität, die anderen zum Zeichen dafür, dass sie mich, den Portemonnaieaufheber, von all dem ausnehmen, was sie da beschimpfen. Ich bin ja gar kein Hausbesetzer, ich bin ein Portemonnaieaufheber. Und ich bin allmählich besoffen.

Johannes kommt, er hat mich entdeckt, er will auch noch nicht in die Pension, er versteckt seine roten Schuhe unter dem Holztisch. Die Partei der Heimlichen spendiert ihm ein Maß. Ab und zu müssen wir Schnupftabak probieren und auf das Wohl von irgendetwas oder irgendwem unsere Maßkrüge hochhalten. Das ist meine Tochter, sagt der Heimliche, der jetzt gar nicht mehr heimlich ist, öffentlich hat er sich zu seiner Neigung bekannt, unser Verteidiger, und wir haben die Tochter schon längst entdeckt, ein paar Tische weiter, suchen ja schon längst alles nach Weiblichem ab, ja, sie ist uns aufgefallen, nicht nur hübsch, sie hat auch so was Besonderes im Blick der großen Augen, gerade haben wir noch darüber gesprochen. Die ist verlobt, sagt unser Verteidiger. Mit einem Parteimitglied. Das sagt er leise, er ist wieder heimlich. Die liegt in den Armen der bayerischen Volkspartei, des großen Drachens. Die wartet darauf, errettet zu werden, sagt unser Verteidiger. Nein, das sagt er nicht, das deutet er an. Wir verstehen. Wir sind erwachsen, aber wir sind auch noch Ritter. Mädchen von Drachen zu befreien ist eigentlich unsere Spezialität. Unser Verteidiger sagt auch, wie und wann. Am nächsten Wochenende, da will er nämlich umziehen. Und da braucht er ein paar Helfer. Wir sagen zu. Am nächsten Tag haben wir einen Kater und erinnern uns dumpf an diese Zusage.

Am nächsten Wochenende schleppen wir Kisten. Und wir entdecken das Besondere im Blick der schönen Tochter. Sie hat einen Augenfehler, sie schielt. Aber nur ganz leicht.





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