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Otto, Hans-Werner:
Gott wird uns schon nicht kriegen.
Roman.
252 S.; 2010; EUR 16,00;
ISBN: 978-3-935421-65-2

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Leseprobe

In den Siebzigern waren wir vaterlose Gesellen
Die Väter hingen als Fotos an der Wand oder lagen unter Autos herum, aber so richtig da waren sie eigentlich nicht.


»Gott wird uns schon nicht kriegen« erzählt von Vätern und Söhnen, vom Erwachsenwerden in den siebziger Jahren, vom Freund, der plötzlich verschwindet, und von den Freunden, die er zurücklässt. Hans Werner Otto unverwechselbarer Sprachstrom diesmal nicht in kurzen Erzählungen, sondern in einem schwebenden und fesselnden Roman über eine Stadt, eine Zeit und junge Menschen, die sich zurechtzufinden versuchen in einer sich neu bildenden Gesellschaft.
Ein Buch über Männer und Frauen, über die Liebe und ihre Flüchtigkeit und ihre Beständigkeit, über Freundschaft und Flucht, über das Suchen und Gefundenwerden, von einem Erzähler, dessen Sprachmelodie verzaubert.

Man konnte Jesus an der Art erkennen, wie er das Brot brach?
Brot wird geschnitten, nicht gebrochen. Höchstens Knäckebrot oder Zwieback.
Und wie soll man mit jemandem reden, auf dem man herumkaut?
Trotzdem versuchte ich es. Aber dann wusste ich nie so recht, mit wem, ob nur mit Jesus oder auch Gottvater oder dem Heiligen Geist oder allen dreien zugleich. Die drei antworteten nie. Keiner von ihnen. Nicht mal Jesus, der doch wohl Mensch war und das eigentlich können müsste. Er lässt uns reden und reden und sagt nie selbst was. Nur Don Camillo, dem sagte er was.
Mir sagte er nichts.





Leseprobe:


In den Siebzigern waren wir vaterlose Gesellen.
Nicht Petra und ich, wir Männer, meine ich. Wir Jungmänner. Wir Lehrlinge und Oberstufenschüler, wir Handballspieler und Plattenspieler und Zigarettenraucher und Biertrinker. Wenn wir zusammen hockten, gab es Handballspiele, Schallplatten, Zigaretten und Bier, aber keine Väter.
Jürgen und Gerd redeten ab und zu über ihre Mutter, aber nie über ihren Vater, und als ich sie einmal besuchte, fragte ich sie nachher, wer denn der Mann gewesen sei, der mal kurz hereingeschaut hatte. Ihr Vater? Ich hatte immer gedacht, den gäbe es gar nicht.
Karls Vater war nur halb da, er hatte im Krieg eine Kugel in die Wange bekommen, das ganze Gesicht war eine große Narbe, die eine Hälfte immer ernst und bedrohlich, während die andere sprach und manchmal sogar lächelte. Aber der entstellte Mund formte nur schwer verständliche Worte, mit ihm zu reden war schwierig, und dieses halbe Lächeln war keines, dem man sich so schnell anschließen mochte.
Michaels Vater dagegen lächelte ganz breit auf dem großen Schwarz-Weiß-Foto, das in der Wohnküche über dem Sofa hing und von Blümchentapete umrahmt wurde. Michaels Vater war ja auch schon tot.
Bei Rainer war die Mutter tot, der Vater lebte noch, aber den sahen wir nie. Nur einmal, als wir bei Rainer feiern durften, da kam er gegen zwölf rein, drehte die Musik leiser, so dass Pärchen aufhörten zu knutschen, und fing schon mal damit an die Aschenbecher zu leeren; da wussten wir, dass die Feier zu Ende war.
Hans-Walters Vater war Lehrer, er war zwar meist zu Hause, wenn wir Hans-Walter besuchten, und vielleicht hätte er sogar mit uns geredet, aber wir wollten ihn gar nicht sehen. Wir drückten uns auf dem Weg nach draußen an seinem Arbeitszimmer vorbei und achteten auch im Garten dann darauf, dass wir nicht zu laut wurden, wenn wir in die mächtige Trauerweide kletterten. Wir wollten ihn nicht auf uns aufmerksam machen, einen Lehrer, man hätte ja überhaupt nicht gewusst, wie man mit so einem außerhalb des Unterrichts umgehen sollte. Wir saßen auf den dicken Ästen wie früher, als wir noch Kinder gewesen waren; statt die hängenden Zweige als Lianen zu benutzen, bliesen wir unseren Zigarettenrauch hinein und redeten, zum Beispiel über dieses lästige Abitur.
Klaus hatte auch einen Vater. Er war aber nie da. Die Mutter schon, sie war neugierig und freundlich und stellte uns auch schon mal ein Bier hin. Der Vater war nirgendwo, auch nicht als Foto. Einmal nur sah ich seine Füße, da gingen wir gerade aus dem Haus, Klaus und ich, und Klaus rief etwas in die Garage hinein, um sich zu verabschieden. Als eine Stimme von da antwortete, wo ich eigentlich nur ein Auto sah, guckte ich genauer hin und entdeckte dann die Füße von Klaus’ Vater unter dem blauen Ford Mustang. Braune Halbschuhe, graue Socken mit gelben Rauten und zwei helle Streifen stacheliger Waden. Und Bernhards Vater? Bernhard sagte, über den wolle er nicht reden.
Die Siebziger begannen, und Väter hingen als Fotos an der Wand oder lagen unter Autos herum, aber so richtig da waren sie eigentlich nicht. Meiner auch nicht, er baute nach Feierabend und am Wochenende das neue Haus.
Er bat mich nur selten, mitzuhelfen, er nahm Rücksicht auf mein Abitur, das gerade bevorstand und genau so gefährdet schien wie die Versetzungen in all den letzten Jahren. Und wenn ich dann mithalf, hatte er kaum Zeit, mich anzulernen – das kam später, viel später. Er gab mir eine einfache Arbeit, ich stapelte Steine, fuhr Schubkarren, bediente die Mischmaschine. Ich sah fasziniert auf die frisch gegossene Bodenplatte und die vier Steine darauf, die er mir hingelegt hatte, um die Abgrenzung meines Zimmers zu markieren. Ein Zimmer, das ich nur sehr kurze Zeit bewohnen würde, so viel war mir schon klar. Es erschien winzig, aber es würde mein erstes eigenes Zimmer sein. Ich schaufelte Sand in die Mischmaschine und dachte nur ab und zu ans Abitur. Mehr an mein Zimmer. Und an Mädchen. Die, übrigens, hatten Väter.
Zum Beispiel Petra. Wenn ich sie besuchte, musste ich meist noch kurz ihre Eltern begrüßen, das gehörte sich so. Die Mutter in der Küche hörte Radio und gab mir nicht die Hand, entschuldige bitte, denn die war noch nass vom Spülwasser. Aber der Vater im Wohnzimmer bot mir direkt einen Sessel ihm gegenüber an. Er las unter der Stehlampe in einem dicken Buch, auf dem Couchtisch waren Karten ausgebreitet: Russland, Frontlinien, mit Buntstiften dezent koloriert, Vorstöße und Rückzüge. Daneben ein Stövchen mit einer Kanne Tee und einer Flasche Weinbrand, von der er jeder neuen Tasse Tee immer einen Schuss verpasste. Petras Vater wusste, dass ich mich für Geschichte interessiere, er wusste auch, dass ich mich für seine Tochter interessierte, und so nutzte er schamlos die Situation aus, erzählte viel von Russland und vom Krieg, von Gewaltmärschen und seinen erfrorenen Zehen. Ich versuchte ihm zuzuhören, was ziemlich schwierig war: er nuschelte und die Straßenbahn vor der Haustür quietschte im Fünfminutentakt durch noch nicht doppelverglaste Fensterscheiben ins Wohnzimmer hinein, also verstand ich manchmal gar nicht, was er sagte. Aber ich mochte ihn und genoss den warmen Schein der Stehlampe, die sein sauber gescheiteltes, glatt gekämmtes volles Haar beleuchtete, genoss den Duft von schwarzem Tee, der rot aus der Glaskanne leuchtete, den Duft des Cognacs und den Blick der dunklen Augen Petras, die um Verzeihung baten für den genuschelten Redeschwall des Vaters und gleichzeitig viel von dem versprachen, wofür das Einzelbett in ihrem Zimmer nebenan viel zu schmal war. Ihr Vater schien das nicht zu ahnen und redete weiter, während ihr Blick irgendwann dringlicher wurde und wir eine Möglichkeit des Absprungs suchten, eine längere Atempause, in der er sich wieder neu Tee und Cognac einschenkte, die Beendigung eines Vorstoßes oder Rückzuges auf russischem Boden oder die willkommene Unterbrechung durch die Mutter, die mit trockenen Händen aus der Küche ins Wohnzimmer trat und irgendeine Bemerkung machte, die überhaupt nichts mit Russland, mit Vorstößen oder Rückzügen zu tun hatte, eher mit Wetteraussichten aus dem Radio oder der Krankheit einer Nachbarin.
Irgendwie hatte Petra für mich auch dann noch einen Vater, wenn wir uns anschließend nebenan auf dem schmalen Bett herumdrückten, das zu einer Couch zusammengeklappt noch weniger hermachte. Sie selbst schien das nicht so zu empfinden, Tür zu, Bett aufgeklappt, aber ich hatte da so meine Hemmungen. Ihr Vater würde bestimmt nicht hereinkommen, und abgeschlossen war auch. Trotzdem. Immerhin saß er Luftlinie nur etwa vier Meter entfernt im Sessel beim Cognactee und las im dicken Russlandbuch, und vielleicht schob er ja gerade jetzt, in diesem Augenblick, die Brille in die Stirn, seufzte und sah durch die Wand hindurch genau auf die Stelle, wo meine rechte Hand lag.
Solche Väter sahen ja alles.
Damals: Petra und ich, also.
Damals: kam es uns, wenigstens in diesem einen langen Jahr, so vor, als würden wir uns niemals trennen. Ein paar Tage ohne einander waren schon schwierig. Und erst mal die Sommerferien, wenn ich drei Wochen lang auf Interrail-Tour sein würde und sie mit ihren Eltern im Schwarzwald, das war kaum auszuhalten, man würde sich ja fast fremd werden.
Aber unser Jahr war schon vor den Sommerferien um. Die Trennung war heftig und traurig und dauerte drei Tage, und ich kann mich überhaupt nicht mehr an den Grund erinnern. Kam da plötzlich jemand anderes ins Spiel? Möglich. Aber wer? Jetzt war ihr Vater gestorben.
Ich nahm den Arm von ihrer Schulter, sie sah weg von den Backmischungen und mir ins Gesicht.
»Es hat mich wirklich gefreut, dich mal wieder gesehen zu haben. Ehrlich.«
Blickte dabei mit ihren kurzsichtigen Augen mitten in meine hinein, nachdrücklich. Nahm den Einkaufswagen und rollte los, Richtung Kasse.
Ich sah ihr einen Moment nach, schlenderte dann ein wenig durch die Fischkonservenabteilung und suchte die Ölsardinen, lief aber auf einmal ganz schnell wieder zurück zum Obst, griff mir das Pflaumenglas, drückte mich an einer kleinen Schlange vor der Kasse vorbei zu Petras rollenden Einkäufen und schaffte es gerade noch, das Glas aufs Band zu stellen, bevor die Kassiererin die Summentaste drückte.
Petra sah mich dankbar an, sagte nichts, drückte mir aber einen schnellen Kuss auf die Wange.
Immerhin.
Dann fragte sie mich, was denn eigentlich aus Bernhard geworden sei.
Ich auch.

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Ein Haus, das war alles.
Mein Vater also baute das Haus für unsere Familie. In dem ich mein winziges Zimmer bekam, mein erstes eigenes Zimmer.
Das war es, was ich brauchte: ein Zimmer.
Aber wir: Bernhard, Ute, Karl, Sabine, Rainer, Margot, Jürgen, Gerd, ja sogar Petra und noch ein paar andere, insgesamt waren wir wohl etwa zwanzig Leute, wir brauchten mehr als nur ein Zimmer. Wir waren viele, wir waren ziemlich ausgewachsen und wir brauchten Platz. Room to move.
Also bauten wir uns auch ein Haus. Und wenn Bernhard nicht verschwunden wäre, dann hätten wir es vielleicht immer noch. Heute noch? Möglich.
Das heißt, eigentlich bauten wir es nicht, denn es stand ja schon. Aber wir renovierten so gut wir konnten. Wir hatten es für zweihundertfünfzig Mark gemietet und mussten mächtig zusammenlegen, um das Geld jeden Monat aufzubringen. Wir wohnten nicht drin, sondern trafen uns dort, und das fast täglich. Zu dem Zweck hatten wir es auch gemietet.
Die Idee kam uns im Impuls. Bernhard, Gerd und ich saßen in dieser Kneipe mit Bühne, wo gerade mal kein Jazzkonzert stattfand, tranken jeder ein Bier, mitten unter berühmten Free-Jazzern und interessant und schön verrucht aussehenden Menschen, die allerdings alle so etwa fünf bis zehn Jahre älter waren als wir. Und die sich alle mehr als ein, zwei Bier leisten konnten. Bei uns war meist nach einem Bier Sense. Nicht, dass das Impuls überhöhte Preise gehabt hätte, wir hatten einfach keine Kohle.
»Man müsste irgendwo einen Raum mieten, ein paar Kästen Bier kaufen, dann könnte man sich da treffen.« Das war Gerd. Er meinte natürlich nicht nur Bernhard, Gerd und mich, sondern uns alle. Wie gesagt, so um die zwanzig Leute. Messdiener, Dänemark-Jugendfreizeitler, Interrailer, Handballspieler, Abiturienten, Lehrlinge und Erstsemester, große Brüder, kleine Schwestern, Abschlussballtanzpartner, Kneipenbekanntschaften, Klassenkameraden, Freunde und Freundinnen von irgendwem. Und bislang trafen wir uns immer gerade bei dem, dessen Eltern nicht da waren. Oder dessen Eltern es nichts ausmachte, dass wir nebenan mit den Cream »Sunshine of your love« sangen und die Bude vollqualmten.
Und in Kneipen, in Unterbarmen zum Beispiel, am Loh, bei Bernd. Seine Kneipe war etwa wohnzimmergroß, er verdiente viel Geld an uns, aber wenn er uns leid war und wir immer noch nicht gehen wollten, holte er den Gartenschlauch und spritzte uns mitsamt Dreck, Schokoladenpapier, Zigarettenkippen und Kronkorken einfach hinaus auf die Straße. Wir trafen uns bei ihm und versuchten die Musik zu übertönen, oft gewann die Musik und wir kapitulierten, sangen dann einfach mit, bestellten Bier und ließen uns schließlich hinausspritzen.
In so einem angemieteten Raum könne man dann auch noch mehr machen, sagte Gerd. Nicht nur sich einfach zuschütten und Lieder mitgrölen, die dir aus den Boxen um die Ohren dröhnten und dir manchmal noch nicht mal gefielen. »Was denn?«, fragten Bernhard und ich, »Was kann man da noch so alles machen?«
Wusste Gerd jetzt auch nicht sofort. Aber so ein Raum, das wäre es doch, oder?
Natürlich, er hatte Recht.
Brauchte ja auch nicht groß zu sein. Ein Kellerraum, eine Garage, etwas in der Art.
Und dann bekamen wir ein ganzes Haus, sogar ziemlich schnell.
Denn noch während ich den Zettel mit der Suchmeldung an das studentische schwarze Brett pinnte, sah mir ein älteres Semester über die Schulter, ein weibliches älteres Semester. Eine ihrer großen Brüste berührte mich an meiner rechten Rückenhälfte. Für eine Studentin war sie sehr elegant, roch aber nach dem Heringsstipp, den es gerade in der Mensa gegeben hatte, und sie sagte mit einer angenehm tiefen Stimme, da wisse sie was für mich. Eine ehemalige kleine Fabrik im Osten Wuppertals, war wohl mal eine Bandwirkerei gewesen, dann von einem Künstler als Atelier genutzt worden, sei nicht so richtig gut in Schuss, die letzten Mieter seien gerade rausgeklagt worden und hätten ziemliches Chaos hinterlassen. Das Ding stünde aber gerade leer und sei eigentlich auch überhaupt nicht teuer. Und kurz darauf hatten wir dann die Bude am Hals.
Ich glaube, es war hier, in dem kleinen Fabrikgebäude, das wir kurz darauf großspurig Kommunikationszentrum nannten, wo Bernhard jetzt kein anderer mehr sein wollte. Es war ihm offenbar auf einmal ganz gleichgültig, wer er war, er wollte es gar nicht mehr wissen, er war ja so viel auf einmal und es machte ihm gar nichts aus. Da war ein Schalter in seinem Kopf umgedreht worden.
Er legte sich mächtig ins Zeug, bestellte erst mal für uns alle einen Container, damit wir all das aus dem Haus bekamen, was wir nicht mehr gebrauchen konnten. Das war ne ganze Menge, in der Hauptsache kaputte Schränke und angeschimmelte Polstermöbel, aber mittendrin ein altes Harmonium, das behielten wir. Die dicken Vierkantbalken, die wir fanden, behielten wir auch und zimmerten einen grobschlächtigen Tresen zusammen, der stand dann schon, als die Wände noch nicht gestrichen waren. Und Bernhard stand dahinter, reichte Karl die Bierflaschen zum Öffnen. Karl biss zu und spuckte die Kronkorken in ein altes Fischernetz, das Sabine über den Tresen gespannt hatte.
Bernhard kassierte eine Mark pro Flasche, verwaltete die Getränkekasse und sagte, sobald wir die Flaschen leer hatten, die Mittagspause sei jetzt zu Ende. Wir machten irgendeine blöde Bemerkung, waren ihm aber ganz dankbar und griffen wieder zu Spachtel und Gips, Pinsel, Rolle und Farbeimer.
Ich kannte ihn kaum wieder. Der Bernhard, der so gemächlich Pfeife rauchte, meist lange nachdachte, bevor er irgendwas Wichtiges sagte, derselbe Bernhard sprudelte jetzt los und versprühte jede Menge Ideen, wenn es um unser Haus ging, er wirbelte und schäumte und lachte und machte sich mit zusammengekniffenen Augen und runzliger Stirn ganz tiefe Sorgen um irgendwelche technischen Probleme.
»Es geht mir einfach gut, verstehst du«, sagte er, als ich ihn auf sein Gesicht ansprach, und sofort war er wieder bei der Frage, ob man bei der Wand, die wir auf der kleinen Empore über dem Tresen ziehen wollten, den Gipskarton einfach oder doppelt anbringen sollten. Oder ob wir den zweiten Raum vorne wirklich orange und blau streichen sollten, das sind ja Komplementärfarben, da kannte er sich jetzt aus als Erstsemester in Graphik/Design. Und er leitete die Vollversammlungen. Dieser Bernhard, der sonst immer nur spöttische und ziemlich witzige Bemerkungen abließ, wenn sich jemand hervortat, der tat sich jetzt selbst hervor, vielleicht ließ jetzt ein anderer spöttische und witzige Bemerkungen über ihn ab, möglicherweise, aber das kratzte ihn nicht. Er nahm die Sache in die Hand, er schmiss den Laden jeden Mittwochabend zur Vollversammlung, wenn alle sich voll versammelten, im großen Raum zwischen Tresen und Bühne auf Matratzen und leeren Bierkästen hockten, die Kronkorken der Bierflaschen ins Fischernetz warfen und rauchten, was das Zeug hielt.
Erst gab es den Kassenbericht, das machte Gerd, er war der Finanzminister. Meist hatte jemand Belege für Farbe, Gips, Dübel vergessen oder seinen Monatsbeitrag noch nicht bezahlt, und Gerd war beleidigt, er musste ja die Miete zusammen kriegen. Dann ging es um den Arbeitseinsatz am nächsten Wochenende. Eine Ecke im Raum vorne links musste noch verputzt werden, das wollte Karl erledigen. Der Kamin sah schlimm aus, schief und krumm, was man denn da machen könne. Ich versprach, mein Vater würde kommen und sich ihn ansehen. Anschließend wurden die nächsten Projekte besprochen. Bernhard hatte viele Projekte.
»Zunächst müssen wir mal mit den Nachbarn klarkommen«, sagte er einmal. Das war in einer der ersten Wochen.
Die Nachbarn, das waren die Bewohner der Häuser zur Straße hin, unser Haus lag dahinter, war also ein Hinterhaus, und wir mussten immer durch eine Löv des Vorderhauses. Die Nachbarn, das waren die Leute, die unweigerlich etwas von uns und natürlich auch unserer Musik mitbekamen. Leute, die nachmittags mit Kissen unter den Ellbogen im Fenster hockten und unser Treiben beobachteten, die abends in Ruhe den »Goldenen Schuss« im Fernseher sehen wollten, die früh aufstehen mussten und nachts lärmempfindlich wurden, die manchmal in der Kneipe nebenan saßen, im »Felsenkeller« am Tresen ihr Bier tranken und dazu immer wieder unter eine von Fettfingerabdrücken blinde Glasabdeckung griffen, um sich eine der alten, harten, schwarzgebrannten Frikadellen vom Teller zu fischen, die nur mit viel Senf genießbar waren, etwa im Verhältnis eins zu eins.





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