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mueller-ostdrift
Horst Wolf Müller
Ostdrift

Drei Reiseerzählungen
Paperback, 256 S.
August 2008, Euro 17,00
Aventuur im NordPark Verlag
ISBN: 978-3-935421-27-0

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Die Reisen durch Thüringen, die Besuche in Prag, die Impressionen, Erlebnisse und die Begegnungen vor und nach Glasnost und der Wiedervereinigung. Horst Wolf Müller beschreibt in einer überaus klaren Sprache und behutsam gesetzten Bildern Menschen in ihren alten und neuen Welten und zeigt die Erlösung nach dem Wandel der Nationen in Ost und West und auch die Wunden, die der große Umbruch schlug.

«Ich habe Prag wiedergesehen, nach achtzehn Jahren. Es ist nicht mehr die Stadt von damals, eine Stadt der Kasernierten und der Camouflierten, der Vorsicht und des Flüsterns. Es ist wieder die Stadt in der Mitte Europas, in der ein lauter und bunter Menschenstrom den Muff von vierzig Jahren fast schon weggeschwemmt hat.«

Bio-/Bibliographie Horst Wolf Müller
Leseprobe


Horst Wolf Müller
1935 in Langenbielau (Schlesien) geboren, Flucht nach Bayern 1945. Studium der Germanistik und Anglistik in München, Münster und Kansas (USA).
Horst Wolf Müller ist vorwiegend mit Theaterstücken hervorgetreten. In den 80er Jahren sind fünf Stücke an verschiedenen Theatern aufgeführt worden (u. a. in Konstanz, Karlsruhe, Regensburg und Salzburg). Daneben entstanden eine grosse Anzahl von Kurzspielen und Satiren für den Rundfunk.


Leseprobe

Praha – die Schwelle Im Jahre ’67 schickte mir ein Vetter das postkartengroße Foto meines Geburtshauses; ein Bekannter, der in Schlesien gewesen war, hatte es aufgenommen. Das Haus sah kaum anders aus als in meiner Erinnerung, nur die Gartenmauer war abgerissen, und zwei polnische Mädchen schritten auf dem Gehweg, sie schienen miteinander zu plaudern – das Ganze machte einen friedlichen Eindruck. Willst du nicht auch einmal nach Schlesien fahren, fragte mein Vetter in dem begleitenden Brief. Ist das denn möglich, fragte ich zurück. Wenn das andere schaffen, wirst du das auch schaffen, schrieb mein Vetter aus Berlin.
Andere! Wer sind diese anderen? Das sind sicher Geschäftsleute, die dort hinfahren müssen. Der Briefwechsel versandete wieder, und meine Fragen blieben unbeantwortet.
Es ist wahr, ich habe mich bisher in kein Land des Ostblocks hineingewagt. Nur nach Ostberlin, aber da ist man abends wieder in Sicherheit. Reisen dagegen heißt bleiben, das erfordert Mut.
Der Ostblock war für mich offenbar zu einer Welt des Unzugänglichen und Verbotenen geworden, darüber hinaus auch eine vergessene Welt, und zwar eine, die es selbst wünscht, vergessen zu sein und zu bleiben. Unbeachtet und unerwähnt schienen mir dort die Menschen sein zu wollen wie Kranke, die in Ruhe sterben möchten, ohne Zeugen. Sie schienen ein Tabu über sich verhängt zu haben, das aus Pietät gewebt war: Man kann Sterbenskranke nicht besuchen, sich nicht von ihnen bewirten lassen, man kann sie nicht mit seiner Neugier belästigen, und Sterbende können sich einem nicht widmen. Und all die vielen, die dort auch nicht hinfuhren, schienen meine Vorstellung zu teilen. Man glaubte, dort ein Welken der Lebensprozesse wahrzunehmen, eine Art Biostase, ein Anhalten des Lebensvorgangs, eine Verwandlung der Lebenslust in ein müdes und mühsames Dahinvegetieren, das sich freilich hinter viel Geschäftigkeit und Arbeitsamkeit verbarg, oder verbergen musste, von Staats wegen. Vielleicht trifft diesen Zustand am besten die Metapher vom langjährigen Schlaf, wie ihm der Mönch von Heisterbach anheim fiel. An diesem kollektiven Schlaf wollte ich nicht teilhaben. Andererseits wusste ich, dass dort mit Argusaugen ein ganz und gar nicht schläfriger Sicherheitsapparat wachte und den schlummernden Lebenswillen, der in die Form des stillen Widerstandes eintauchte, argwöhnisch aufzeichnete. Als Westler fürchtete ich, dort auf Tritt und Schritt beobachtet und verfolgt zu werden und zuletzt sogar Rechenschaft über mein Wachsein und meine erhöhten Lebenshoffnungen abgeben zu müssen. Unsere Menschen sind klein und geduckt, gehen Sie nicht so frech umher!)
Kurz und gut: Ich wollte nach Osten, aber ich wagte es nicht zu wollen.
So blieben mir die Länder jenseits von Elbe und Oder – wie vielen anderen, deren Vorstellungen auch nicht aus der Verschwommenheit herauskommen konnten – unbekannt, wie Länder der Sage, wie Tibet oder Orplid oder die Schluchten des Balkans. Einzelne waren zwar dort gewesen, aber die kannte ich nicht; ich kannte nur Nachrichten aus zweiter Hand, und die waren immer von Warnungen und Enttäuschungsbekundungen umwölkt, man solle dort nicht hinfahren, alles sei noch schlimmer, als es man sich vorstelle. Auf diese Weise bin ich auch davor gewarnt worden, mit einem Schiff den Atlantik zu überqueren, die Seekrankheit sei so furchtbar, dass man nur noch sterben wolle. Solche Warnungen haben sich früher immer sehr nachhaltig in mir ausbreiten können. Und die Vorstellung wurde durch solche Berichte unglücklich gespeist, noch grauer und schemenhafter und die Vorurteile zu unübersteigbaren Mauern, so dass ich mich an ihnen gar nicht erst versuchte, sondern nach Italien und nach Spanien fuhr, dorthin aber mit einer solchen Furchtlosigkeit, als führe ich zu lauter Verwandten aufs Land.
Aber die Namen Dresden, Erfurt, Magdeburg, Wittenberg ließen sich auch durch alles Licht des Südens nicht verdrängen, und an herbstlichen Lesetagen tauchten sie wieder auf und mit ihnen ein Gestaltenreigen altdeutscher Schelme, Welterforscher, Sucher, Prediger und Haudegen und damit kam ein seltsames Verlangen, ihren Stätten nachzuspüren. In Tagträumen sah man Eulenspiegel ein Krankenhaus leer räumen, Luther Streitschriften gegen den Papst verfassen, Guericke Pferde an seine luftleere Kugel spannen, Bach die Orgel in Leipzig zu ungekannter Fülle entfesseln, und es wob sich ein magisch-magnetischer Raum um einen, in dem eine Ostdrift herrschte, dass man glaubte, aufbrechen zu müssen, um durch alle Barrieren von Staub und Tristesse hindurch diese verbotenen und vergessenen Länder aufzusuchen und mit versteckter Wünschelrute den alten Geist wiederzuerwecken.
Gleichzeitig breitete sich aber im Gemüt eine Gegenstimmung von Melancholie aus, die wie schwarzer Lack den magischen Drang überlagerte und in alle Kavernen einsickerte, so dass man das auslösende Buch zuklappte und vom Schreibtisch oder aus dem Lesesessel aufstand und ganz unschlüssig im Zimmer auf und ab ging und es drängte sich der 17. Juni vor und einige Parolen wie »Übererfüllung« und »Subbotnik« und man sah Transparente auf Güterwagen und Losungen über Fabriktoren. Man dachte an Prozesse gegen Schüler, von denen man schon als Abiturient gehört hatte, und das Patt der Gefühle war wieder da, das einen in der jahrelangen Passivität gehalten hatte.
Den Zugang zum Ostblock habe ich durch Dr. Hebky gefunden. Vielleicht hat auch Kafka eine gewisse Rolle dabei gespielt. Dr. Hebky ist ein tschechischer Chemiker, den ich kurz nach dem Prager Frühling in Wien kennen gelernt habe, aber nicht als Emigranten, sondern als Teilnehmer eines wissenschaftlichen Kongresses. Aus Gründen, die ich nicht erforscht habe, wohnte Dr. Hebky damals, es mag im Herbst 1968 oder später gewesen sein, im Studentenwohnheim in der Porzellangasse. Wahrscheinlich, weil es an Devisen für Hotelzimmer fehlte. Ihm wurde ich – damals auch nicht begütert – als Zimmergenosse zugeteilt. In mir fand Dr. Hebky einen Neugierigen, dem keine marxistischen Grundlagen das Zuhören erschwerten, wenn jemand die Litanei der Fehlleistungen des Systems sang, und bei aller Höflichkeit, die er mir als Mitbewohner angedeihen ließ, verriet er mir so jäh wie unvorsichtig, mit welchem Abscheu Prags Intellektuelle, jedenfalls die Liberalen, zu denen er sich zählte, dem Wirken Husaks und der moskauhörigen Machthaber zusahen. Ich erinnere mich kaum noch an Einzelheiten dieses Gesprächs, das wir auf Studentenbetten sitzend führten (deren sonstige Schläfer irgendwo in Kärnten ihre Semesterferien verbrachten), nur noch an die Atmosphäre verschwörerischer Annäherung der Meinungen, die ein gewisses Flirren im Raum zu erzeugen schien, worauf wir das Fenster öffneten und das Vorbeifahren einer Wiener Straßenbahn mildernd in unser Gespräch eindrang. Wenn ich mich recht erinnere, hatte Dr. Hebky damals auch zu verstehen gegeben, dass er auch auf Dubcek keinerlei Hoffnungen gesetzt habe, weil es einen Kommunismus mit menschlichem Gesicht gar nicht geben könne, und es hatte sich ein gewisser Fatalismus über das ganze Gespräch gelegt wie ein Rauchschleier, wenn jemand starke Zigarren in einem ungelüfteten Zimmer verbrennt. Aber dieses Bedrückende habe ich fast immer empfunden, wenn mit Kennern der Materie über die Aussichten des Kommunismus geredet wurde. Hebky erwarb in meinen Augen den Nimbus unanfechtbarer Kompetenz, weil er – anders als deutsche Akademiker – mit dem Kommunismus nicht die geringste Hoffnung verband. Sein doppeltes Wissen um eine Macht, die zutiefst unfähig, dabei aber gegen jeden Umsturz gefeit war, konnte seinen Eindruck auf ein westliches Gemüt nicht verfehlen. Es gab dann kein Gespräch mehr, das dem ersten in der Studentenbude im »Porzellanheim« an Intensität vergleichbar gewesen wäre, auch wenn wir uns zum Frühstück im Cafe Korall und zum Abendessen in einem Beisl dessen Namen ich heute vergessen habe, noch einmal trafen. Hebky machte mich auch noch mit seiner Tochter bekannt, die ihn nach Wien begleitet hatte; sie verlor kein Wort über Politik, was sehr erfrischend wirkte. Am dritten Tag unserer Bekanntschaft reisten beide schon nach Prag zurück, die letzten Worte, die getauscht wurden, waren Versicherungen, sich gegenseitig zu besuchen. Doch sollte ich zuerst nach Prag kommen, denn für ihn werde die nächste Valuta-Zuteilung auf sich warten lassen. Und überhaupt sei es mit den Ausreisegenehmigungen sehr schwierig, außer zu Fachkongressen werde er kaum reisen dürfen, und zu den Kongressen auch nur, weil er an der Entwicklung eines Mittels beteiligt war, das bei der Schweinemast dem Futter zugesetzt wurde und die Tiere vor Infektionen schützte. Kommen Sie bald nach Prag, rief er mir zu, als wir uns vor dem Porzellanheim trennten. Ich werde Ihnen Unterkunft besorgen! Na shledanou!
Es hat noch über zwei Jahre gedauert, bis ich Prag dann endlich sah. Ich bildete mir ein, es würde ein Wiedersehen werden, denn ich habe als Neunjähriger, während der Flucht aus Schlesien, eine Nacht in Prag zugebracht und hatte eine deutliche Erinnerung an einen Platz gespeichert, auf dem mich ein Prager Polizist zur Ruhe ermahnte, offenbar hatte ich dort, zusammen mit einem Gleichaltrigen, gelärmt. Im nächtlichen Prag im März 1945 von einem Polizisten zur Ruhe ermahnt zu werden, war ein einschneidendes Erlebnis und hat mir diesen Erinnerungsrest beschert, darüber hinaus weiß ich nur etwas von einem Handwagen, auf dem zwei Flüchtlingsfamilien ihre Habe von einem Bahnhof zu einem anderen transportierten, wobei immer wieder die Hutschachtel meiner Mutter herunterfiel und sich öffnete. Hüte enthielt sie freilich keine mehr. Die beiden Bahnhöfe habe ich nicht wiedererkannt, auch nicht den Platz, auf dem ich ermahnt worden war. Das Prag von 1972 bot mir keinerlei Wiedererkennen, es war eine ganz neue und fremde Stadt. Sie war für mich ebenso neu wie für Dörte, die mich damals begleitete.
Dörte war gerade 20 geworden, ihre Bekanntschaft mit Kafka war noch sehr frisch und sie hatte daher die Idee, nach Prag zu fahren, begeistert aufgegriffen und aus einem meiner vielen Gedankenspiele über mögliche Reisen eigentlich erst zur ernsten Absicht gemacht.
Ende März reisten wir ab. Wir reisten mit der Bahn und in drei Etappen. Diese Strategie der vorsichtigen und langsamen Annäherung trägt unverkennbar meine Handschrift.






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