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Frieling, Simone:
Glückspilze.
Geschichten aus der Kindheit.
Heftbroschur mit Schutzumschlag
72 S.; 2010; EUR 6,50;
Die besonderen Hefte
ISBN: 978-3-935421-58-4

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Leseprobe

Und schön war es doch.Mit sanfter Ironie, Humor und perlender Lebenslust beschreibt Simone Frieling eine Kindheit in Wuppertal, in der die psychologische Spannung zwischen "großem Bruder" und "kleiner Schwester" eine entscheidende Rolle spielt.

Leseprobe

Tante Be-E-Ka (Auszug)

Alle sechs Wochen kam Großvater Grob mit einem Eimerchen Honig zu uns, das er meiner Mutter auf den Küchentisch stellte:
– Für die Kinder, damit aus denen mal was wird. Und natürlich für dich.
Neben den Honig legte er eine geringelte Pappschlange: Zehn Kindereintrittskarten für das Schwimmbad.
– Ein Mal wöchentlich, sonst nützt es nichts, befahl er.
Meine Mutter nickte ergeben, während ich hinter meinem Rücken die Finger zusammenlegte, um herauszufinden, wie oft ich würde schwimmen gehen müssen, bis die Zehnerkarte aufgebraucht wäre. Ich haßte die grüngekachelte Badeanstalt. Immer wurde ich dort rumgeschubst und hatte am Ende blaue Lippen.
Auch den Honig betrachtete ich mit Mißfallen. Warum brachte Großvater Grob nicht einmal ein großes Glas Himbeermarmelade mit? Tag für Tag aßen wir Honig. Wenn der Eimer zur Hälfte geleert war, begann der Rest körnig zu werden und nach Blech zu schmecken. Sogar meine Brüder runzelten dann die Stirn, und ich konnte in den Falten lesen, daß auch sie gern Marmelade gegessen hätten. Trotzdem nickte ich, wenn mein Großvater die Geschenke brachte, und murmelte einen Dank.

Zwei Mal im Jahr, kurz vor meinem Geburtstag und an Weihnachten, kamen die Päckchen meines Patenonkels. Graue, flache Kartons von der Größe einer doppellagigen Pralinenschachtel. Obwohl ich ahnte, was sie enthielten, riß ich sie doch neugierig auf. Ich löste die Schleife, hob den Deckel und da lagen sie: Zwei rosa Unterhemdchen eng aneinandergekuschelt. Ich wollte ihren Frieden nicht stören und schloß den Karton gleich wieder. Die Hemden waren mir zu klein, das wußte ich aus Erfahrung. Onkel Friedrich maß ihre Größe noch immer nach meinem Taufkleidchen. Das hatte sich ihm besonders eingeprägt, als er mich vor Jahren über das Becken gehalten hatte.
Ich war verbittert über seine Einschätzung meiner Körpergröße, setzte mich aber doch an den Küchentisch und schrieb ihm im Sommer und im Winter einen Dankesbrief – einen mit extra vielen Rechtschreibfehlern. Pünktlich zum Neuen Jahr schickte Tante Maria mir einen Kalender. Wenn ich seine Verpackung aufriß, hoffte ich jedes Jahr wieder auf Tierfotos: Hundewelpen oder schwarze Kaninchen, vielleicht auch Häuschenschnecken, es war mir gleich, ich liebte alle Tiere. Aber Seidentaschentücher mit Spitze, nein! Jedes Kalenderblatt bestand aus einem Papprahmen, in den ein Taschentuch gespannt war. Also zwölf Seidentaschentücher im Jahr, das machte in acht Jahren... Soweit konnte ich nicht rechnen. Ich sah sie nur im Schrank liegen: ungebügelt und mit zerrissener Spitze. Nicht einmal, wenn meine Eltern schimpften, überwand ich mich, meiner Tante für diese Taschentücher zu danken.
Warum bekamen wir von unseren Verwandten keine normalen Geschenke: Schokolade, Bonbons, Zuckerwatte, Plüschtiere, Buntstifte, Hamster oder Feuersalamander? Unser Freund Peter hatte von seinem Großvater zum Geburtstag einen Salamander geschenkt bekommen. Und der hatte immerhin zwei Wochen gelebt.

Von uns aber wurde verlangt, daß wir uns über einen Liter Lebertran freuten. Wir sollten jubeln über: vier Wollhemdchen, unzählige Eimerchen Honig, zehn Liegestützen, zwanzig Atemübungen, wöchentliche Schwimmstunden und die Kopfnüsse nicht mitgerechnet, die wir bekamen, wenn wir nicht jubelten. Zwei Löffel Lebertran ließen sich herunterschlucken, Wollhemdchen sich im dunkelsten Winkel des Schrankes verbergen, Spitzentaschentücher sich verlieren. Mit diesen Dingen wurden wir fertig. Es gab aber Geschenke, vor denen wir uns wirklich fürchteten, und die kamen von Tante Beeka. Tante Beeka war eine seltsame Frau. Wir nahmen an, daß sie sehr wohlhabend war. Sie verschleuderte ihr Geld regelrecht. Ihr Interesse an uns, sagte Felix, »geht eindeutig in die Richtung Sadismus«. Was das Wort wirklich bedeutete, wußte ich nicht.
– Sie hat Freude daran, uns zu quälen, belehrte er mich. Dabei haben wir ihr weder Froschlaich in die Manteltaschen geschüttet noch sonst ein Verbrechen an ihr begangen. Wir haben sie ja noch nicht einmal zu Gesicht bekommen, die alte Vettel.

Wie nah wir dieser Tante wirklich standen, wußten wir nicht. Manchmal dachten wir, daß sie eine sehr entfernte Verwandte sei, denn wir wurden nicht gezwungen, ihr Dankesbriefe zu schreiben. Ihre Adresse war uns unbekannt, so daß Felix ihr keine Droh- oder Unterlassungsbriefe schreiben konnte. Dann wieder glaubten wir, daß sie uns sehr nahe stehen müsse, weil sie genau über die Größe unserer Füße Bescheid wußte. Sobald nur ein Fuß um einen Zentimeter gewachsen war, lagen beim Orthopäden in der Kaiserstraße drei paar neue Eiseneinlagen bereit. Tante Beeka hatte sie bezahlt, wir mußten sie nur noch abholen.
Mit Hingabe legte meine Mutter sie in unsere Schuhe und kontrollierte jeden Tag den perfekten Sitz. Weder sie noch Tante Beeka interessierten sich dafür, daß unsere Mitschüler mit Hänseleien über uns herfielen, sobald wir in der Umkleidekabine der Turnhalle unsere Schuhe auszogen. Dann, als die Brillen aufkamen, die die Eltern unserer Freunde von einer Minute zur anderen in Großeltern verwandelten, wurden wir Kinder plötzlich zum Arzt dirigiert, und das, obwohl uns nichts fehlte. Der Arzt leuchtete uns in die Augen, murmelte etwas Unverständliches, und eine Woche später wurden uns beim Optiker Füllbier Brillen angepaßt. Tante Beeka hatte nicht nur schon bezahlt, sondern auch die drei Gestelle ausgesucht: Modell sechzigjährige Trauereule in grau-schwarz, grau-braun und grau.
Es war nicht Weihnachten, keiner von uns hatte Geburtstag, und jeder von uns bekam doch ein Geschenk. Wir waren totunglücklich. Beim Abendessen ließen wir die Köpfe auf die Tischplatte sinken und wollten nicht mehr essen. So gealtert würden wir nie wieder in die Schule gehen können, noch auf die Straße, um zu spielen.
Mein Vater war der einzige, der sich unseres Kummers annahm. Er schimpfte sogar mit meiner Mutter. Die aber war unbeeindruckt von unseren »Komplexen«, wie sie es nannte. Wir sollten dankbar sein: Die Brillen und Einlagen seien sehr teuer und wir Glückspilze bekamen sie von der Beeka geschenkt. Als wir einige Zeit später erschöpft aus der Badeanstalt kamen, lief uns Mutter im Hausflur freudig entgegen:
– Die Beeka hat es endlich bewilligt, sie schenkt euch eine Kur! Und Felix darf zuerst fahren. Stellt euch vor, sechs Wochen Schwarzwald...
Wir unterbrachen den Freudeschwall und fragten, was eine Kur denn sei. Wir waren nun äußerst mißtrauisch gegenüber den Geschenken von Tante Beeka. – Eine Kur ist eine Reise, aber keine gewöhnliche, eher eine Glücksreise, ihr könnt soviel essen, wie ihr wollt, ihr könnt nach Herzenslust...
– Ihr? Dürfen wir denn zusammen in den Schwarzwald fahren?
– Nein, Felix wird als erster...
– Wir wollen aber zusammen verreisen!
– Bei Geschenken darf man nicht bestimmen. Außerdem fährt Felix nicht alleine, viele Freunde und nette Betreuer werden mit ihm reisen.
Felix war verblüfft:
– Sollte Tante Beeka dem Sadismus abgeschworen haben?

Noch am selben Tag nahm er das Geschenk an. Er hatte in der Schule Krach mit den Lehrern, da kam ihm eine Reise gerade recht.
Als er nach sechs Wochen wieder nach Haus kam, sah er schmal aus und hatte tiefe, schwarze Ränder unter den Augen.
– Da habt ihr wohl eine Hungerkur gemacht im Schwarzwald, rief ich laut und lachte.
Felix schaute zu Boden. Wenn wir ihn nach der Kur fragten, war er seltsam still. Sebastian mußte er aber doch etwas verraten haben, denn als er an die Reihe kam, in den Westerwald zu fahren, lehnte er ab.





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