N O R D P A R K  VERLAG

KARL OTTO MÜHL

DAS PRIVILEG

Ein Volksstück aus dem Wuppertal

Die Gedichte

Mit einem Nachwort von Gerold Theobalt
und  einem
zeitlichen Überblick
von Dr. Horst Jordan

Home
Zurück zu
Mühl 

KARL OTTO MÜHL

EIN SCHAUSPIEL ENTSTEHT


Wie so oft bei neuen Initiativen, war beim Festspiel und Volksstück »Das Privileg«  die Absicht vor dem konkreten Inhalt vorhanden. Man wußte einfach nur, daß Wuppertal ein Festspiel über seine frühe Geschichte haben sollte.

Die aber war einfach und bekannt.

Sie bestand in der langsamen, aber flächendeckenden Entwicklung des Bleicher- und Färbergewerbes an den Ufern der Wupper.
Gebleichtes Garn aus dem Tal der Wupper war berühmt und hatte einen großen Abnehmerkreis. Aber es gab zunehmend Konkurrenz, die es auszuschalten galt, sollte der wirtschaftliche Mittelpunkt des Tals gedeihen und wachsen.  Die Initiative von Bürgern, die sich an Herzog Johann III in Düsseldorf wandten, schaffte es, ein Monopol, das Privileg, gewährt zu bekommen, und zwar gegen Zahlung von 861 Goldgulden, die von 42 Bürgern, Kaufleuten und Bleichern, aufgebracht wurden.
Die Dokumente darüber sind erhalten, zusammen mit Listen und Abrechnungen und Akten über gerichtliche Auseinandersetzungen.


GEROLD THEOBALT

EIN STÜCK (FÜR) WUPPERTAL
Am 1. Juni 2001 fand die letzte Premiere in der 13jährigen Amtszeit des Wuppertaler Intendanten Holk Freytag statt. Daß es sich dabei um die Uraufführung eines Stückes von Karl Otto Mühl handelt, ist keineswegs zufällig. Schließlich gehört der Wuppertaler Schriftsteller seit vielen Jahren zu den treuesten Weggefährten der scheidenden Theaterleitung.

Bereits die erste Spielzeit im Tal brachte Holk Freytag und sein Ensemble mit dem Autor so wichtiger Stücke wie »Rhein-promenade« oder »Kur in Bad Wiessee« zusammen, die den Wuppertaler Bühnen unter Arno Wüstenhöfer Anfang der 70er Jahre bereits überregionale Anerkennung beschert hatten. Der erste Auftrag an Karl Otto Mühl war eine Bearbeitung des Schauspiels »Die Weber« von Gerhart Hauptmann (in der Spielzeit 1988/89), die Mühl mit sicherem Gespür für die sprachlichen Nuancen aus dem schlesischen Original in das bergische Idiom übertrug. Fünf Jahre später dann ein Stück zur Wuppertaler Stadthistorie: »Ein Neger zum Tee« heißt die tragikomische Geschichte um den Schwarzafrikaner Kangafu, den ein brutaler Schausteller in der Zeit um 1820 wie einen Sklaven hält und als Kirmesattraktion mißbraucht. Doch dann wird ein Kreis begüterter Pietisten auf sein Schicksal aufmerksam. Sie kaufen Kangafu frei und beginnen mit der intensiven Missionierung des »armen Heiden«, der schließlich den Rest seines Lebens in den Von-der-Reckschen-Anstalten bei Düsseltal fristen muß

Mit diesem Stück gelang Mühl der Balanceakt, einen sozialkritischen Stoff mit melancholischem Humor den Nachgeborenen verständlich zu machen. In einem kontrapunktischen Handlungsstrang brachte er die Gegenwart mit ins Spiel: Zwei Wuppertaler Handlungsreisende mühen sich in einem afrikanischen Land vergeblich um den Absatz ihrer heimischen Textilprodukte – späte Nachwehen eines Kolonialismus, der auch den Schwarzen Kangafu ins Bergische Land gebracht hatte.

Mühls neues Stück »Das Privileg« knüpft an die Erzählweise des »Neger zum Tee« an. Die Vorgänge um die Verleihung des Bleicherprivilegs im Jahre 1527 spiegeln sich in den vielen kleinen Einzelgeschichten der Elberfelder Kaufleute, der Knechte und Mägde, die ihre Träume vom kleinen persönlichen Glück an die Verleihung des Privilegs knüpfen. Es ist die Zeit nach der blutigen Zerschlagung der Bauernaufstände, ein Ereignis, das den unteren Schichten des Heiligen Römischen Reiches für Jahrhunderte jeden rebellischen Geist austreiben sollte. Widerstand gegen die Obrigkeit war fortan vor allem religiös motiviert. Die wachsende Bewegung der Reformation verband sich mit den politischen Bestrebungen des prosperierenden Bürgertums, das dank seiner wachsenden ökonomischen Potenz zu starkem Selbstbewußtsein fand. Bankhäuser wie das der Fugger in Augsburg verkehrten in Augenhöhe mit den Mächtigen der Welt. Ihr größter Schuldner war Kaiser Karl V.

Solche Beispiele verwiesen die Elberfelder und Barmer Kaufleute auf einen dritten Weg jenseits von Untertänigkeit und offener Rebellion: Was sich politisch nicht erstreiten ließ, konnte man sich vielleicht erkaufen. Für den Erfolg derartiger Geschäfte gab man dann auch gern ein Stück Solidarität auf: Zum Beispiel mit den Nachbargemeinden, für die das Bleichermonopol der Barmer und Elberfelder einem ökonomischen Desaster gleichkam. Wollten sie weiter der Produktion von Weißgarn nachgehen, so blieb ihnen kaum etwas anderes übrig, als sich bei den neuen Monopolisten zu verdingen. Daß die Gesamtregion langfristig von der Verleihung des Privilegs profitieren würde, ja, daß damit das Fundament für den beispiellosen Aufschwung der Bergischen Industrie gelegt wurde, konnten die Betroffenen nicht ahnen. Politische Zurückhaltung legte man sich auch in Glaubensdingen auf. Der Fall des Predigers Adolf Clarenbach zeigt das allzu deutlich. Man wagte keinen Protest gegen die Herren der Inquisition, um den mächtigen Erzbischof zu Köln nicht zu verärgern. So wurde Clarenbach als Ketzer auf dem Melatenhügel vor den Toren Kölns öffentlich verbrannt.

Karl Otto Mühl macht diese Vorgänge in seinem Kammerspiel transparent, ohne die Figuren dabei an den Pranger zu stellen. Die Kommentare überläßt er der Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler. Das erlaubt dem Publikum einen verfremdeten Blick auf die Geschichte aus der Perspektive einer Frau, die zu ihrer Zeit als Jüdin und unbotmäßige Künstlerin erfahren mußte, was es bedeutet, geächtet und aus der Heimat vertrieben zu werden. Die Lasker-Schüler weiß um die Schwächen der Menschen; sie kennt die Ignoranz der Satten und Saturierten ebenso wie den Fanatismus der Verzweifelten, die sich lieber verbrennen lassen, als ein Jota von ihrer absoluten Wahrheit abzuweichen. Mit den Augen der Dichterin blickt der Zuschauer auf das Bühnengeschehen und erkennt es als seine eigene Geschichte.